Es ist mein drittes Weihnachten, Kerzen erhell'n den Raum Wie rote Äpfel hängen die Glaskugeln dort am Baum Ich greife nach der größten und hab' sie schon zerkaut Noch ehe mir Mutter kreidebleich auf die Finger haut Die Straßen sind plötzlich so fremd, jetzt ist der Abend da Ich bin fünf und zu Fuß auf dem Weg nach Amerika Ich friere und hab' Durst und find' es gar nicht so verkehrt Dass mich jetzt grad' die Funkstreife packt und nach Hause fährt Nein, lass es heut' noch nicht geschehen Nein, ich bin doch noch nicht bereit Ich kann doch nicht so einfach gehen Es ist doch noch nicht meine Zeit! Seit heute kann ich Schleifen binden und mich selbst anzieh'n Seit heut' hab' ich ein Fahrrad und Heftpflaster an den Knien Hm, es ist gut im Hause meiner Eltern Kind zu sein Heut' geh' ich meinen Schulweg zum ersten Mal allein Heut' habe ich als erster meinen Freischwimmer gemacht Heut' hab' ich Ulla nach der Tanzstunde nach Hause gebracht Heut' nacht war es, dass sie mich heimlich in ihr Zimmer ließ Das ich auf Zehenspitzen heut' im Morgengrau'n verließ Nein, lass es heut' noch nicht geschehen Nein, ich bin doch noch nicht bereit Ich kann doch nicht so einfach gehen Es ist doch noch nicht meine Zeit! Schwarze Figuren wanken einen merkwürdigen Trab Gleichgültige Gestalten tragen einen Freund zu Grab Ich hör' die Reden, und es ist mir, als müsste ich schrei'n Ich laufe, bis mir schlecht wird – ich muss alleine sein In den kalkweißen Kacheln unser beider Spiegelbild Auf ihren spröden Lippen blüht ein Lächeln, das mir gilt Das Kämpfen ist vorüber, nun hält sie winzig und warm Und unendlich verletzlich unser erstes Kind im Arm Nein, lass es heut' noch nicht geschehen Nein, ich bin doch noch nicht bereit Ich kann doch nicht so einfach gehen Es ist doch noch nicht meine Zeit! Noch nie hab' ich die staubige Erde so gern berührt So sanft und weich die Steine an meinen Füßen gespürt Noch nie hab' ich das Gras am Wegesrand lieber geseh'n Noch nie den Wind so zärtlich durch die jungen Halme geh'n Noch nie hab' ich den Duft der Felder in der Mittagsglut So gierig eingesogen, nie war mir so zumut' Beim Anblick eines Raben, der am Mittagshimmel schwebt Und langsam niedersinkt – ich hab' noch nie so gern gelebt! Nein, lass es heut' noch nicht geschehen Nein, ich bin doch noch nicht bereit Ich kann doch nicht so einfach gehen Es ist doch noch nicht meine Zeit!